Am Ende kackt die Ente- Rennbericht Ironman Vichy

Prolog, nein nicht Einzelzeitfahren: Am Ende kackt die Ente.

So treffend und liederlich zugleich könnte man den 27.08.2017, den Tag meines ersten Ironmans (Ironman Vichy in Frankreich) beschreiben. Doch beginnen möchte ich mit den wichtigeren Dingen. Dem Dank an meine Freunde und Familie, die mich in den Tagen, Wochen und Monaten unterstützt haben sowie meinem Coach Golo alias Captain Rocket Racing, der einen nicht unwesentlichen Teil dazu beigetragen hat, diesen langen Tag so kurz wie möglich zu halten. Insbesondere meine Eltern, meine Schwester und Freundin haben am Kampftag geholfen, mir einen kleinen Teil der Anstrengung zu nehmen. Dass der Tag so komfortabel wie nur irgendmöglich war, verdanke ich Saysky und dem superdollen Splinter Aerosuit 2.0 sowie dem restlichen Klamottengetüddel für davor und danach! Überrascht war ich von der Anzahl der zurückgelegten Kilometer während des Rennens, um mich zu supporten. Mein Papa hat sage und schreibe 31 km von meinem Schwimmstart bis zu meinem Zieleinlauf zurückgelgt!

Wie das Rennen lief, erfahren Sie nach der Werbepause:

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Spaß beiseite.

Kapitel 1 Das Vorwettkampfrumgetüddel:

Am Mittwoch vor dem Rennen reiste ich von Köln mit dem Auto an, um mich mit den Örtlichkeiten und dem Wetter vertraut zu machen. Für einen Zappel-Philipp wie mich sind die ruhigen Tage vorher wohl die schwersten. Mit jedem Tag ausruhen, ruhig Rad fahren, planschen, dehnen und mit Blackrolls bearbeiten – ruhig, ruhig, ruhig – steigt die Vorfreude und der Finger am Abzug wird immer nervöser, stets bereit abzudrücken. Nicht einmal die letzten Tage mit viel Essen kann man so richtig genießen. Mit dem Zusammensuchen aller Wettkampfutensilien, dem Packen der Wechselbeutel und schlussendlich dem Einchecken des Fahrrads endete zumindest für mich die Leidenszeit. Ich wusste, der Start stand kurz bevor und alles, was noch blieb, war jetzt eine ruhige Nacht zu verbringen. Tatsächlich schlief ich seelenruhig bis morgens um 4:00 Uhr der Wecker zur Schlacht rief.

Kapitel 2 Am Ende kackt die Ente:

Eine Dusche, vier Espressi und ein wenig Baguette später saß ich im Auto in Richtung Start. Die brennendste Frage am Morgen: Neo oder kein Neo? Das Wasser hatte am Wettkampfmorgen angenehme 25,7°C, ich hatte also gute Chancen Schildkröten und Korallen zu sehen, unter Umständen begleitete mich ja auch eine Delphinschule. Wer weiß das schon so genau in der heutigen verdorbenen Zeit ist ja alles möglich. Nachdem ich meine Special Needs Tüte mit meiner Trinkflasche voller Gels deponiert, eine weitere am Fahrrad montiert, mein Trinksystem befüllt, Reifen aufgepumpt, die Ventile sieben Mal gegengecheckt und meine Wechselbeutel ein weiteres Mal kontrolliert hatte, lief ich mich noch eine kurze Runde vor dem Start ein. 15 min mit ein wenig Lauf-ABC, dynamischem Dehnen und Steigerungsläufen. Für den Start positionierte ich mich mit Absicht ein wenig weiter hinten, ca. 3 min hinter den ersten Starten, um das Feld dann von hinten aufrollen zu können. Der Start war unspektakulär. Sogar so unspektakulär, dass ich ihn nicht mitbekam, sondern nur, dass sich die Schlange vorbewegte. Das Schwimmen selber war dann ähnlich unaufregend. Der Plan sah mich nach 1 Std. auf dem Rad. Das Ziel knapp verpasst, saß ich dann nach ca. 1:03 Std. auf dem Fahrrad gen Front. Auf dem Rad begleitete mich dann das wohl wettkampfuntypischste Gefühl von allen. Ich nenne es mal das Lalaladüdüdü-Gefühl. Während der gesamten Radstrecke war der Kampf gegen mein Innerstes einfach loszudüsen und zu fahren, was die Beine hergeben, größer als der eigentliche Kampf gegen Erschöpfung, Hunger, Hitze und Co. Mir war sehr bewusst, wie lang der Tag noch würde und so konzentrierte ich mich darauf, meine vorgegebene Wattzahlen zu halten und immer ausreichend zu „essen“. Ca. 18 Gels, 2 Riegel und eimerweise Iso kippte und schob ich in mich hinein. Mal getrieben von einem wirklichen Bedürfnis, mal einfach aus Vernunft, um das Kalorien- und Flüssigkeitsdefizit so gering wie möglich zu halten. Spätestens als es nach der Hälfte der Radstrecke begann heiß zu werden, kam dann auch der Durst wieder. Mit 269 Watt NP oder etwas mehr als 3,6 Watt/kg jagte ich durch das Feld. Bei km 92 an der Special Needs Station passierte mir dann das erste Malheur des Tages. Die mir angereichte Aerobuddel fiel aus der Halterung. Erst einige Sekunden und eine Menge Schreie von Hinten später bemerkte ich das Fehlen. Beherzt rannte mir bereits eine nette Dame von den Helfern hinterher und so hielt sich der zeitliche Verlust so einigermaßen in Grenzen. Ich konnte meine Fahrt also gut verpflegt fortführen. Schließlich (bei ca. km 100) erreichte ich die Führungsgruppe, bestehend aus starken Schwimmern und guten Radfahrern. Sofort bildete sich ein Zug mit mir als Lokführer. Die französischen Wettkampfrichter waren sehr streng. Es dauert nicht lange, bis hinter mir die ersten Trillerpfeifen erklangen. Bien joué! Der Spaß wurde kurzzeitig unterbrochen, als ich bei km 110 in Kurvenlage ein Schlagloch tangierte. Irgendwas lief nicht mehr rund, aber ein platter Reifen war es nicht?! Alles rollte aber irgendwie behäbiger. Ich entschied mich dafür, weiter zu fahren – so schlimm fühlte es sich nicht an. Die Sonne wurde allerdings immer stärker, auf über 35°C stieg das Thermometer im Laufe des Tages. Als dritter flog ich in der Wechselzone ein und das mit guten und ausgeruhten Beinen. Ich hatte also alles richtig gemacht. Im Ziel bekam ich dann mit, wie mein Coach in die Whatsappgruppe schrieb, ich solle bloß nicht überpacen und mit aufgeregter und sorgenvoller Miene dem Marathon entgegenblickte. 😉 4:27 Std. für 180 km (40,45 km/h) klingen nun eigentlich auch nicht wirklich entspannt. Mit anfänglich guten Beinen verließ ich die Wechselzone zum zweiten Mal. Dieses Mal in Laufschuhen, um mich auf den heißen und langen Marathon zu machen. Jaja, ich weiß, ein Marathon ist immer gleich lang – Klugscheißer. 😉 Hui sagte ich mir beim Blick auf die Uhr. 3:55 – 4:00 min/km und es fühlt sich gut an. Aber! Am Ende kackt die Ente! Mit Toilettengang und dreifachem Schnürsenkelzubinden lief ich die ersten 10 km in etwas unter 42 min und dann begann der Spaß. Eigentlich hatte ich gedacht, der Schmerz und die Müdigkeit kämen schleichend, aber bei km 12-13 hörte der Spaß urplötzlich auf. Jeder Schritt tat weh, der Bauch spielte verrückt, nun begann also die Schlacht gegen meinen Körper. Das soll auch einer verstehen, anstatt dass der Körper sich selber hilft, weil man erst im Ziel im Ziel ist, sagt das Hirn, der Körper aber sagt jetzt ist Schluss und alles dadurch nur zum Zickenkrieg ausartet, wird alles nur noch schwerer. Gemeinsames Arbeiten und ein höhreres Ziel erreichen, undenkbar. Klingt ein wenig nach GroKo oder? Die Anfeuerungen von der Seite und die Informationen meiner Eltern, Schwester und Freundin, dass mein Vorsprung immer weiter wachse, halfen auch nicht wirklich. Der beste Ratschlag kam dann auch noch vom Coach selber: „Rausnehmen und bei km 30 eine Attacke starten“. Der Einfall gefiel mir, die Umsetzung erschien mir allerdings schwer, denn mein Lauftempo lag schon bei 4:45, gesteigert bei 4:35. Da war weder was mit rausnehmen, noch konnte irgendwas aus dem Arsenal noch drauflegen. Auch der Ausblick den 2. Gesamtplatz zu halten, konnte mich nicht mehr so recht motivieren. Alles, was ich wollte, war umfallen. Kämpfend absolvierte ich die 2. Runde. Wurde überholt. Kämpfend absolvierte ich die 3. Runde. Wurde überholt. Ich nahm an den Verflegungstellen mit, was ging. Wasserdusche, Wasser, Iso, Gel, Cola und das berühmte Quellwasser aus Vichy, über das ich meist besonders dankbar war, denn der hohe Mineralgehalt lässt das Wasser salzig schmecken. Da wird der Gaumen zur Kathedrale, wenn man 8 Std. sonst nur aufgelöste Gummibärchen trinkt (Achtung Methaphorismus). Und warum kackt die Ente nun am Ende? Ich schien mir, mein Rennen gut eingeteilt zu haben, denn zwei Kontrahenten, die mich auf den vorherigen Laufrunden eingeholt hatten, konnte ich am Ende der 3. sowie 4. Runde noch einholen. 30 Sekunden fehlten mir am Ende zu Platz 3 in der Gesamtwertung. Der Zickzacklauf in der französischen Hitze war geschafft! Überwältigt von Gefühlen der Erlösung und nur der Erlösung allein, für alles andere war einfach kein Platz mehr in mir, lief ich als 4. Gesamt, 1. in der AK 25-29 in 8:46:29 Std. bei meinem Ironmandebüt über die Ziellinie. (1:01 – 4:27 – 3:11) Was für ein Tag!

Kapitel 3 Pustekuchen:

Da lag ich nun im Ziel und hoffte, das Schlimmste sei vorbei. Pustekuchen. Alles spielte verrückt. Mein Magen drehte sich. Mir war schlecht, übel, ich hatte Kopf- und Bauchschmerzen, wollte schlafen, konnte nicht – sowas hab ich nach den besten Nächten an der Theke noch nicht erlebt. Fast 5 Std. dauerte das Martyrium, bis ich endlich essen und trinken konnte ohne direkt wieder eine Zusammenkunft mit Villeroy und Boch anberaumen zu müssen. Um 20 Uhr abends ging es dann los zum Abendbrot. Den kurzen Weg zum Restaurant schaffte ich locker, die vorherigen Treppenstufen und das Hinsetzen weniger. Nach Bier und mittelmäßiger Pasta zog es uns alle ins Bett. Schlafen war das Einzige, was ich noch wollte. Schlafen, einfach schlafen, aber meine Beine glühten. Mein Körper war immer noch in Alarmbereitschaft und somit war auch an Schlaf nicht zu denken. Kurz vor 4 ging ich sodann ins Wohnzimmer, packte mich auf das Sofa und schaute Serien. Der Hunger kam. Die Lust auf Kaffee kam noch stärker. Zum Glück gabs ja noch eine Espressokapsel im Haus. Voller Freude bereitete ich die Maschine vor, drückte auf Start und … sah den Espresso in die Abtrofschale laufen. Pustekuchen! Naja, immerhin war es ja schon 5 und die Supermärkte müssten ja bald aufmachen. Die Recherche ergab – 8:30 Uhr frühesten, das hieß noch weitere 3:30 Std. hungern. Pustekuchen! Aber auch die Zeit verging.

Kapitel 4 Ende gut, Konto leer:

Natürlich wurde der Tag noch schön, denn gegen Mittag gab es dann die Siegerehrung und ich konnte mir neben meinem Pokal für den 1. Platz in der AK auch noch den Traum erfüllen, ein Mal bei der Ironman WM auf Hawaii zu starten. Kein ganz günstiger Spaß, aber Onkel Donald hilft mir ein wenig mit einem schwachen Dollar. Für mich geht es also im nächsten Jahr zum 40. Geburtstag des Ironmans Hawaii nach Big Island!

 

Philipp Herber