2014_TransVoralberg_03Berge soweit das Auge reicht

…und da war er endlich, der Tag, auf den ich zwei Monate lang mit vollem Ehrgeiz, Fleiß und Disziplin hingearbeitet habe. Der Tag, an dem wohl einer der härtesten, aber gleichzeitig auch schönsten und emotionalsten Triathlons sein sollte, bei dem ich in meiner noch recht jungen Triathlonlaufbahn an den Start gehen würde – an den Start des TRANS VORARLBERG Triathlons.

Mit bangen Blick auf das Wetter reisten wir (meine Freundin und ich) am Samstag bei schönsten äußeren Bedingungen zum Startort nach Bregenz. Denn bei den ersten zwei Austragungen regnete es bei sehr kühlen Temperaturen. Die Prognosen für die dritte Austragung waren deutlich besser, wäre da nicht der vorhergesagte Kälteeinbruch am Wettkampftag gegen 14 Uhr gewesen. Da wir in den Bergen waren, kann man da den Prognosen nie trauen.
Vielen Athleten, denen ich bei der Wettkampfbesprechung begegnet war, war anzusehen, dass dies kein „normaler“ Triathlon ist. Obwohl die Radstrecke aus Sicherheitsgründen in diesem Jahr statt 103 nur noch 93 Km lang war, tat dies der anspruchsvollen Topographie keinen Abbruch. Nach dem 1,2 Kilometer Schwimmen, geht es auf dem Rad von Bregenz (400 Meter ü.d.M.) ins Skiparadies Lech (1450 Meter ü.d.M.) und danach in die zweite Wechselzone, nach der ein Crosslauf über 12 Kilometer, der seinem Namen alle Ehre macht, dem Triathlon sein Sahnehäubchen aufsetzt. Wir wurden also gut über die Strecke informiert, die haargenau bei der Wettkampfbesprechung am Samstag vorgestellt wurde.
Rad aus dem Auto laden, zum Check-In und dann gemütlich etwas Essen gehen- so stellten wir uns den weiteren Tagesverlauf vor, doch es kam etwas anders: Als ich eine kleine Probefahrt mit meinem Specialized Shiv Pro machte, stellte ich fest, dass die Di2 sich nicht mehr schalten ließ, aufgeladen war sie ja. Also gingen wir voller Hoffnung zum Check-In, mit dem sich dort befindlichen BikeService. Schnell stellten wir fest, dass der Servicemann auch keine Ahnung hatte, und so checkte ich ein kaum funktionierendes Rad ein. Der Abend verging voller Sorgenfalten, bis ich am späten Abend im Hotel im Bett liegend und grübelnd auf die glorreiche Idee kam, das Problem bei YouTube zu suchen, wo ich auf die Lösung stieß.

Nach einer sehr unruhigen Nacht gingen wir um sechs Uhr morgens zum Startareal und ich konnte die Schaltung kurz vor dem Start doch noch betriebsbereit machen. In dem überdachten Areal, in dem mittlerweile alle der ca. 450 Einzelstarter hektisch mit ihren Taschenlampen, da es noch stockfinster war, herumfuchtelten und versuchten, ihre Räder auf Luft zu prüfen und die restlichen Gels an ihren Triathlonmaschinen zu verstauen, herrschte trotz der Hektik eine gewisse Ruhe vor dem Sturm, die Ruhe vor dem Startschuss.

2014_TransVoralberg_01Um kurz vor acht waren dann alle Athleten mit den grünen Badekappen im Wasser und warteten auf den Startschuss. Michael Göhner, einer der Topfavoriten und letztjähriger Sieger, kam mit fragendem Blick zu mir und meinte, ob man nicht den Zeitmesschip noch aktivieren müsste? „Ja klar“, antwortete ich, „da vorne beim Eingang zum Schwimmstart.“ Warum er auf mich zugekommen ist, frage ich mich bis heute, ich denke, es war Zufall.

Dann fiel endlich der Startschuss und die Nervosität entlud sich in weißer, peitschender Gischt des Bodensees. Die 1,2 Kilometer kamen mir verdammt lang vor, zu lang für meinen Geschmack. Ich durfte nicht zu viel an Boden verlieren, denn wer hier an Start geht, der kann sicher mindestens genauso gut Radfahren wie ich! Nach 20 Minuten verließ ich den Bodensee und lag zu dieser Zeit für meinen Geschmack viel zu weit hinten, konnte aber nicht genau meine Position einschätzen. Ich schätzte, dass ich mich etwa auf Platz 40 befinden müsste, was auch gut hinkam (46.). Schnell gewechselt und ab aufs Rad. Aber irgendwie war an diesem Tag alles anders als sonst. Ich überholte ein paar Athleten auf den ersten Kilometern, aber nicht wie sonst im Eiltempo, sondern für meine Verhältnisse viel zu langsam und schon hingen wir in der ersten Steigung! Dann kurz bergab mit 85 Km/h und wieder bergauf. Bis Kilometer 55 übten wir dieses Prozedere zum X-ten Mal, bis wir auf eine 15 Kilometer lange, leicht ansteigende Gerade kamen. Meine Beine waren durch dieses heftige Auf und Ab schon ganz gut zermürbt. Bis dahin hatte ich kaum andere Radfahrer überholen können, ich fragte an den Anstiegen die Zuschauer nach meiner Position. Die Antworten gingen von: „Ca. 50. Position“ bis hin zu „mit im vorderen Bereich“ für meinen Geschmack zu weit auseinander. Verzweiflung machte sich breit, denn mein Ziel war, unter die ersten sechs bis zehn zu kommen.

Auf der langen Geraden fing es leicht an zu regnen. Ich haderte mit mir, war verzweifelt, weil ich erfolglos versucht hatte, an die Spitzenleute heranzufahren, was mir an diesem Tag einfach nicht gelingen wollte. „Ruhig bleiben“ dachte ich mir, „jetzt einfach deinen Stiefel zu Ende fahren“, hinten raus ergibt sich bestimmt noch die Chance, die eine oder andere Platzierung gut zu machen, denn der Hochtannbergpass mit seinen bis zu 16 % Steigung lag noch vor uns. Und so kam es dann auch: eine nach der anderen Platzierung machte ich gut. Kurz vor dem Gipfel zog ein so starker Nebel auf, dass wir eine Sicht von etwa 10 Metern hatten. Es war ein eigenartiges Gefühl. Ich schraubte mich mit 10-15 Km/h die letzten Kilometer hinauf, und überall waren Stimmen aus dem Nichts zu hören. Stimmen, die im Nebel ihren Ursprung nahmen und dort auch wieder klanglos verschwanden.
Als ich über den Gipfel bei Kilometer 85 angelangt war, war der Nebel wie vom Erdboden verschluckt und der Zielort Lech zeigte sich von einer recht freundlichen Seite. Die Abfahrt nach Lech war eher wieder ein Auf und Ab. Was meinem letzten Fünkchen Hoffnung den Gar ausmachte. In Lech angekommen, legte ich einen Blitzwechsel hin, der damit anfing, dass ich unter dem Raunen des Publikums mit 25 Sachen in die Wechselzone stürmte, und damit endete, dass ich die Radabgabe verpasste, wieder umkehren musste und meinen Wechselbeutel, der direkt vor mir lag, nicht fand. In die Laufschuhe geschlüpft und Vollgas auf den ersten 200 Metern gelaufen, bis ich vor einer so steilen Wand stand, dass man an Laufen nicht mal denken konnte. Dort sah ich meine Freundin stehen. Dann gab es für mich kein Halten mehr und ich musste mal kurz heulen, während ich ihre Hand striff.

2014_TransVoralberg_02Vor mir sah ich, als es wieder ebener wurde, urplötzlich Läufer. Ich dachte, ich bin im falschen Film, als ich diese mühelos überholte. Die Laufstrecke war wirklich hart, verging aber wie im Flug und ich konnte wieder ein paar Positionen gutmachen. Kurz vor dem Ziel kündigte mich der Sprecher an: „Niels Steindorf vom Tri Team Hamburg kommt auf dem 20. Rang ins Ziel“. Dass es doch noch so weit vorne für mich endete, hätte ich nach dem Verlauf nicht gedacht, rettete meine Stimmung aber leider nicht. Tränen der Enttäuschung, mit Rückblick auf die vielen schweißtreibenden Trainingskilometern im Schwarzwald, flossen. Nach 4:29 Stunden, exakt eine halbe Stunde hinter dem Sieger Christian Kramer, kam ich ins Ziel.
Der Schmerz und die Verzweiflung, nicht an die Spitzengruppe heran gekommen zu sein, halten eine Woche nach dem Tag der Tage immer noch an. Der Schmerz wird vergehen, die Wunden werden heilen und ich werde nächstes Jahr wiederkommen. Gestärkt aus den Erlebnissen werde ich wieder an der Startlinie stehen und wieder wird Niemand wissen, was das Wetter und was der Rennverlauf alles bringen wird.
Am Abend fing es auf der Passhöhe an zu schneien…
Ich danke meiner Freundin Carmen für die sagenhafte Unterstützung und für alles, was sie für mich besonders an diesem Wochenende getan hat. Ich liebe Dich…

Euer Niels