Ironman Hawaii – proudly presented by Philipp Herber

Prolog

Wie beginnt man, eine Geschichte zu erzählen, die für viele die Verwirklichung eines Lebenstraums bedeutet und für den Rest zumindest der Höhepunkt eines langen Jahres? Mit Sicherheit hätten alle 2.500 Athleten aus den 85 Nationen Großartiges und auch Inspirierendes zu berichten, wie sie es geschafft haben sich gegen gut und gerne 100.000 andere Sportler durchzusetzen, um bei der 40. Ironman Weltmeisterschaft auf Hawaii dabei zu sein. Aber dies ist meine Geschichte und die geht so:

Wenn man es genau betrachtet war der Weg nach Big Island of Hawaii ganz schön lang. Alles beginnt mit einer Anmeldung für eines von vielen Ironman Rennen weltweit. Meine Wahl fiel auf den Ironman Vichy 2017 – taktisch wohl bedacht, dass selbst Napoleon erblassen würde. Der Ironman Vichy war nämlich der erste Ironman des Jahres 2017, bei dem man sich für Hawaii 2018 qualifizieren konnte. Ich hatte also mehrere Optionen: erstens, die Qualifikation schaffen, zweitens, die Qualifikation nicht schaffen dabei aber Vieles lernen für einen erneuten Anlauf, oder drittens, die Qualifikation nicht schaffen und die Anmeldung für die dümmste Idee meines Lebens halten. Komisch ist, dass die Option 1 eingetreten ist, Option 2 inkl. des „eine Menge hättelernen können“ nicht, dafür aber wiederum Option 3, mir der Gedanke, dass es wohl die größte Schnapsidee meines Lebens war, fast 9 Stunden der eigenen Vernichtung entgegenzuarbeiten, mehrfach, allerdings nur im Rennen und direkt danach kam. Betrachtet man die Vorbereitung für den ersten Ironman dauerte der Marsch nach Hawaii eineinhalb Jahre. Allein seit Jahresbeginn bin ich 365 km in 117 Stunden geschwommen, 7570 km in 227 Stunden Rad gefahren sowie 2003 km in 148 Stunden gelaufen, um bestens vorbereitet an der Startlinie zu stehen.

Rennmorgen

Klassischerweise beginnt ein Ironman Tag früh. 03:45 Uhr blinkte mir mein Wecker ins Gesicht, als der schrille Alarm am Morgen des 13.10.2018 zum Kampf blies. Überraschenderweise hatte ich tief und fest geschlafen, unterbewusst musste ich mir meiner Sache also ziemlich sicher gewesen sein. Aufstehen, Freundin wecken, duschen, Freundin nochmal wecken, Kaffee machen – jetzt ist aber wirklich genug geschlafen -, Freundin zum letzten Mal wecken, kleines Frühstück, Zähneputzen, Trinkflaschen aus dem Kühlschrank nehmen, Rucksack kontrollieren, Rucksack nochmal kontrollieren, zum Auto und los.

Vordem Start mussten alle Athleten noch das Bodymarking über sich ergehen lassen. Jeder Starter bekam seine Nummer auf die Arme, im Anschluss daran ging es dann für alle auf die Waage, aus streng medizinischen Gründen, wie man uns versicherte. Mit 160 lbs (ca. 72 kg) brachte ich ein super Wettkampfgewicht auf die Waage. Meine Trinkflaschen im Gepäck, hieß es jetzt nur noch Reifen aufpumpen, Trinkflaschen sowie Schuhe am Rad anbringen und den Wetsuit überstreifen, bevor es um Punkt 07:05 Uhr hinaus in die Schlacht gehen würde.

Ge(h)zeiten

Die Masse aus 1800 braungebrannten, von Adern durchzogenen, austrainierten und komplett nervösen Age-Group Männern bewegte sich 20 min vor dem eigentlichen Start in Richtung Wasser. Ich konnte die Energie spüren, die die anderen Athleten ausstrahlten, während ich in der Masse immer weiter zum Dig Me Beach geschoben wurde. Zuerst fühlte sich das Wasser kalt an und ich beobachtete die Menge, ein wenig eingeschüchtert von all den fitten Athleten, die mit mir an der Startlinie standen. Die ersten Gedanken, die mir nun im Wasser kamen, lauteten etwa: „Schwimme ich schon 200 m raus und paddle noch 15 min mit den Armen? Wo stelle ich mich auf, riskiere ich haufenweise Schläge und Tritte direkt rechts oder halte ich mich aus dem Gerangel raus und schwimme den längeren Weg?“

Der Mittelweg erschien mir der sinnvollste, weshalb ich mich in die 2. Reihe und etwas weiter rechts (direkter Weg), als links aufstellte.

Vor den Athleten paddelten ein paar Jungs auf Surfboards hin und her und versuchten kläglich aus dem wabernden Haufen eine gerade Linie zu formen. Um mich herum waren Sportler von 18 bis 85 Jahren, die Ältesten wirkten ebenso angespannt wie die Jüngsten, wobei die Alten ein wenig zerbrechlich schienen, zwischen all der Kraft aus 1800 Arm- und Beinpaaren. Irgendwann und nahezu ohne Ankündigung krachte die Startkanone los. Hände und Füße prasselten auf mich ein, während alle versuchten die schnellsten 200 m ihres Lebens zu schwimmen, um der größten Schlägerei zu entgehen. Ich konnte dem Getümmel gut entschwimmen. Zu Anfang bekam ich so lediglich ein paar kleine Schläge ab, musste unterwegs jedoch zwei Mal meine Brille neu aufsetzten.

Das Schwimmen auf Hawaii ist anders, nicht nur, weil es untypisch für Ironman-Rennen hier noch immer einen Massenstart gibt, sondern auch weil die Leistungsdichte so dermaßen eng ist, dass man die ganze Schwimmstrecke lang immer Begleiter hat. Bis auf ganz vorne, schäumt das Wasser wie die anlandende Brandung, von all den Schwimmern um einen herum. Nach etwa 2 km erreicht man den Wendepunkt der Strecke, hier kanalisieren sich nochmals alle Athleten und es wird eng und ungemütlich beim Umschwimmen des Boots. Die Schwimmstrecke des Ironman Hawaii entspringt dem Skizzenheft desselben Künstlers wie die Rad- und Laufstrecke. Alle drei erfordern größte mentale Stärke aber höchstens das Konzentrationsvermögens eines Dreijährigen, denn das prägende Element aller Strecken ist die Gerade. Somit erwartet die Ironmänner, und –frauen natürlich auch, nur noch eine ca. 1,8 km lange Gerade bis zu den rettenden Fahrrädern.

Für mich verlief das Schwimmen bis hierhin unspektakulär. Der Pazifik war meinen Empfindungen nach sehr gnädig an diesem Morgen. Einige Wellen die hier und da mal eine Boje in der Ferne verschwinden ließen, aber keine Kampfansage der Naturgewalten. Mit gutem Gefühl in den Armen, den Beinen sowie mit fokussiertem Kopf, machte ich mich auf in Richtung Pier bzw. Wechselzone. Ich konnte es kaum erwarten aufs Fahrrad zu wechseln, Schwimmen ist und bleibt eben Schwimmen, es macht Spaß aber Fahrrad fahre ich einfach lieber. Außerdem hatte ich Einstein, anstelle von Vaseline als Reibschutz, zur wasserlöslichen Sitzcreme gegriffen. So arbeitete der Wetsuit mit jeder Arm und Halsbewegung fleißig daran, mir meine Extremitäten abzusäbeln – nicht gerade motivationssteigernd kann ich Euch sagen.

Ohne die Uhr im Blick beendete ich das Schwimmen, rannte unter den wie Elefantenrüssel wirkenden Gartenschläuche mit Trinkwasser hindurch, die genüsslichere Gemüter des Tages nutzten um das Salzwasser von der Haut zu spülen, schnappte mir meinen Wechselbeutel, der nur meine Radbrille enthielt und rannte ins Wechselzelt. Husch, husch, den Wetsuit aus, die wirklich hoch motivierten Freiwilligen nahmen mir alle Schwimmutensilien ab, stopften diese in den dafür vorgesehenen Beutel, sodass ich mich nach einem schnellen Wechsel schon in Richtung Rad befand. Ich hatte mich für einen Straßenhelm entschieden, da die nicht vorhandenen Ventilationsöffnungen am Aerohelm zwar schnell machen, einen aber auch wesentlich mehr schwitzen lassen. Comfort beats Aerodynamics, ich wusste mir würde den Tag noch genug Schweiß entrinnen, wollte also bewusst die Kopfsauna zu Hause lassen. Die ersten Radkilometer fühlten sich wirklich fantastisch an. Mir war klar, wenn ich jetzt losschoss, dann könnte mich das eher früher als später so Einiges kosten. Der Blick auf die Uhr verriet mir übrigens, ich war genau meiner Marschroute gefolgt, nach 1 Std. saß ich auf dem Rad! Nicht, dass ich während des Schwimmens in irgendeiner Form den Überblick drüber gehabt oder gar Handlungsspielraum besessen hätte, aber es freute mich trotzdem. 😉

Die Radstreckedes Ironmans führt einen zu Beginn in einer knapp 15 km langen Schleife von Hawi weg und wieder zurück zum Fuße der Palani Road. Von dort aus geht es dann schnurstracks über den Queen Ka’ahumanu Highway nach Hawi. Man kann den Radkurs also kurz und knackig beschreiben wie den Marathon: hin – zurück, woanders hin – zurück. Der Queen K Highway markiert den weltberühmten Weg durch die „Lava-Wüste“ über den flimmernden Asphalt, wo die Ironmänner zu ersten Mal dem Mythos Hawaii begegnen. Jetzt geht das Rennen richtig los, die vierspurige schnurgerade Straße lädt förmlich dazu ein loszuballern.

Mir ging es immer noch prächtig. An einer der ersten Verpflegungstationen sammelte ich die ersten Getoradeflaschen ein, um meine Expeditionsvorräte aufzufüllen. Hinter mir sah ich schon die ersten großen Gruppen im Anflug. Naja egal, dachte ich mir, bis Hawi halte ich mich zurück und danach geht das Rennen los. Wenn ich heute so diese Zeilen tippe, dann klingt die Taktik genauso leicht wie vor, während und nach dem Ironman. Ein übermotivierter Radfahrer nach dem anderen fuhr an mir vorbei und setzte sich genau 1 m vor mich, nur um dann mit dem Treten aufzuhören. So ging es weiter und weiter. Kurz hinter dem Kona Airport sah ich den orangen Helm von Golo Röhrken, meine angestrebten 270 Watt noch immer im Blick, scherte ich aus der Gruppe aus, damit ich Fahrt in Richtung Golo aufnehmen konnte. Völlig sinnlos wie ich bald bemerken durfte. Ich befand mich auf einer geführten Übungsfahrt für den belgischen Kreisel (Für den Unwissenden Leser: Energiesparende Fahrweise zum idealen Ausnutzen des Windschattens durch abwechselnde Führungsarbeit. Von oben betrachtet sieht die Formation aus wie ein sich drehendes Riesenrad) In mir fing die Wut an zu brodeln. An jeder Gruppe setzte ich mich an die Spitze, weil dies der einzige Ort war, wo fair gefahren werden konnte. Die Überholmanöver liefen jedoch leider unter dem Motto: „Jetzt überholen, später zahlen“. Als ich Golo einholte, hielten wir einen kurzen Taktikplausch. Golos Meinung nach, sollte sich die Situation nach Hawi ein wenig verbessern, sobald alle nach dem Anstieg hoch zum Wendepunkt ihre Körner verschossen hatten. Dass auch meine Speicher aufgebraucht wären, damit rechnete ich zu diesem Zeitpunkt, wir waren jetzt ca. 2,5 Stunden inkl. Schwimmen unterwegs, noch nicht. Das Bild auf dem Highway blieb unverändert. Zwar entflohen wir der Lavawüste, aber der Popo des Vordermanns schien für viele Athleten noch immer eine unwiderstehliche Ausstrahlung auszusenden. Teilweise waren die Fahrmanöver der Hobbypiloten so waghalsig, dass Golo dabei fast von einem ausscherenden Athleten umgefahren worden wäre. Ohne über die Schulter zu schauen wechselten einige die Spur und erzwangen damit haufenweise Beinaheunfälle.

Der Radkurs auf Hawaii ist bekannt für seine Gruppenbildung, weshalb die Rufe nach einem Rolling-Start auf Hawaii immer lauter werden. Beim Rolling-Start gehen alle paar Sekunden eine bestimmte Anzahl an Sportler auf die Strecke. Das entzerrt unter Umständen zwar das Renngeschehen, nimmt ihm aber auch jeden Renncharakter.

Aufdem Anstieg nach Hawi kamen mir die ersten drei Pros entgegen samt Helikopterbegleitung, eine ganz Zeit dahinter die erste große Verfolgergruppe samt aller Favoriten. Das war für mich der erste positiv erwähnenswerte Einblick des Ironmans Hawaii. Wie cool ist es bitte, hautnah und zeitgleich die Arena mit den Besten des Sports teilen zu können. Mittlerweile musste ich seit gut einer Stunde all meine Verpflegung runterwürgen. Das auf der Strecke angebotene Gatorade, wollte gar nicht mehr den Weg runter Richtung Magen wagen, die letzten Schlucke aus meiner selbst präparierte Aerotrinkflasche samt Gel und Elektrolyten würgte ich hinunter. In der Konsequenz war ich zwar euphorisch die Pros gesehen zu haben, mein Wille gut zu performen war auch noch lange nicht gebrochen, meine Kraft schwand jedoch. Während so eines Wettkampfes fühlt sich schwindende Kraft für mich nicht an wie Muskelkater oder Erschöpfung, sondern kommt mit einem gewissen Quäntchen an Hilflosigkeit. Man versucht zwar seine Watt auf die Pedale zu bringen, es kommt aber einfach nichts davon an was man aus dem Gehirn in Richtung Beine an Signalen gesendet hat. Dabei fühlt man sich nicht einmal richtig kaputt, erschöpft oder sonstige Dinge die man vielleicht so kennt, die Muskeln schmerzen auch nicht und das Herz arbeitet langsam und beständig, man fühlt sich schlichtweg ein wenig hilflos. In Hawi, kurz hinter dem Turning Point, nahm ich meine Special Needs entgegen. Ich hatte dort eine weitere Aero-Radflasche mit sieben Gels und Elektrolyten deponiert, die mir nun von den wirklich engagierten Helfern gegeben wurde. Irgendwie motivierte mich die neue Tankfüllung aus Gels. Ich wollte unbedingt meinen Plan umsetzen und jetzt mein Rennen beginnen. Der Umstand, dass der Weg von Hawi nur bergab geht, motivierte mich zusätzlich. Ich versuchte also meine angestrebten Wattzahlen wieder auf die Pedale zu bringen und den Bergabfahrt zum Raketenflug zu machen, musste jedoch bald einsehen, das meine Energiereserven nicht so voll waren wie ein Bräutigam bei seinem Junggesellenabschied. Damit war gedanklich für mich der Tag auf dem Rad irgendwie schon gelaufen, ich versuchte mich nun also die letzten 70 km für den Marathon vorzubereiten.

Am Ende der Abfahrt von Hawi geht es für die Athleten nahezu direkt auf den Queen K Highway. Hier erwartet die Ironmänner jetzt der berühmte Mumuku Wind, der teilweise heftig von der Seite oder direkt frontal auf die Athleten trifft.

Ich weiß jetzt, knappt 1,5 Wochen später, noch immer nicht, ob ich mich über die flauen Windbedingungen in diesem Jahr freuen soll oder nicht. In Jahren mit steifer Brise, hilft der Mumuku das Radfeld auszusieben und die starken Radfahrer fangen nun auf den letzten 60-70 km der Radstrecke an Zeit auf die schwachen Radfahrer gutzumachen. Am Ende kann ich mich wahrscheinlich über die diesjährigen Radbedingungen glücklich schätzen, denn trotz miserabler Radperformance stieg ich nach 4:34:59 Std. vom Rad. Der Verlauf meiner Wattwerte sah allerdings aus wie der Aktienkurs der Commerzbank. Mit 278 Watt im Schnitt nach der Hälfte, war der Durchschnitt vor dem zweiten Wechsel auf 255 Watt gefallen. Das sind Werte einer durchschnittlich anstrengenden Wochenendausfahrt und nicht die eines Rennes.

Im Anschluss an den zweiten Wechsel wartet auf die Ironmänner und –frauen noch das, was man in einem Videospiel wohl den Endgegner nennen würde. Wer sich auf den 183,8 vorherigen Kilometern des Tages zu sehr in Richtung Leistungsgrenze manövriert hat, wird spätestens ab dem ersten Kilometer des Marathons die harte Hand des Ironmangotts spüren. Die ersten 5 von 42,195 km führen den welligen und extrem schwülen Ali’i Drive raus und wieder 5 km zurück. Hier sind die Straßen noch gesäumt von Zuschauern, die jeden Sportler anfeuern. Man bemerkt als Sportler zum ersten Mal, wie viele Fanclubs eigentlich hier zu diesem ganz speziellen Tag angereist sind. Es dürften wohl auch die einzigen Kilometer sein, wo man von so etwas wie Stadionathmosphäre sprechen kann, denn nahezu alle anderen Streckenteile sind einsam.

Mich motivierte eben diese Atmosphäre ungemein. Ich tauschte also entsprechend engagiert mein Rad und Helm gegen: Cap, Socken und Laufschuhe. Noch mehr als in meine Radform hatte ich Vertrauen in meine Laufform. Mit einem Halbmarathon in 1:14 Std sowie dem in 1:15 Std., der mir in Almere den Gesamtsieg auf der Mitteldistanz brachte, war für mich klar, dass ich den heutigen Marathon auf keinen Fall spazierend und schmerzfrei erledigen wollte. 4:10 min/km war mein erklärtes Ziel für den Tag und genauso lief ich los. Kontrahent für Kontrahent sammelte ich ein. Ich flog förmlich über den Asphalt. Die beim Radfahren noch ausgelaugten Beine schienen mit jedem Schritt zu funktionieren wie ein Dynamo. Jeder Meter gab mir Kraft und Selbstvertrauen zurück, selbst Gatorade schien wieder zu schmecken.

10 kmin den Marathon hinein wartet die schier senkrechte Palani Road auf die jetzt, im besten Fall rennenden Sportler. Zum quasi letzten Mal hört man nun Anfeuerungsrufe. Zum letzten Mal kann man hier noch mental Kraft tanken bevor man in die Einsamkeit des Queen K Highways zurückkehrt, hinaus in die düster schwarzen Lavafelder, auf den flimmernden Asphalt bishin zum Natural Energy Lab. Der letzte Kampf des Tages ist gnadenlos!

DerSteigung entsprechend langsam lief ich noch immer frisch die Palani Road hoch. Golo und ich liefen gemeinsam, allerdings driftete Golos Lächeln immer mehr in Richtung Schmerzverzerrung. Nach dem Linksknick am Ende der Palani Road auf den Highway hinaus fällt die Straße leicht ab. Ich nahm meine Beine in die Hand und lief. Schon kurze Zeit später war der Abstand zu meinen vorherigen Mitläufern deutlich größer geworden, mein Kampfeswille war noch immer nicht gebrochen außerdem fühlten sich meine Beine schier fantastisch an. Kilometer 12: alles gut! Kilometer 13: tiptop! Kilometer 14: Ach nur noch 28 Kilometer, das wird jetzt einfach ein langer Feierabendlauf, gespickt mit einer Steigerung am Ende wenn ich mich gut fühle! Kilometer 15: Ding Dong, ich bin’s der Mann mit dem Hammer! Irgendwann im Verlaufe des Marathons bekommt man immer unangenehmen Besuch. Wenn ich auch jemand bin, der Wert auf Pünktlichkeit legt, so hätte es mich am heutigen Tage jedoch mit Freude erfüllt, wenn der Mann mit dem Hammer eher später als früher an der Tür geklingelt hätte. Naja, nun war er da – einmal da wird man ihn auch nicht mehr los. Meine Uhr verriet mir jetzt, dass ich jeden Kilometer einen neuen Langsamkeitsrekord aufstellte, während mir die führenden Männer entgegenflogen. An jeder Verpflegungsstation führte ich jetzt mein Becherballett auf. Vier Schwämme raus, vier Schwämme rein, ein Becher in’ Mund, einen übern Kopf, Eis in den Rücken, Eis in den Bauch, zwei Becher in’ Mund, oh eine ganze Galone Wasser, ein Becher Gatorade, zwei Becher Cola, Eiswürfel in Mund und einen übern Kopf. Den Weg zum Energy Lab hinunter gab es dann nocheinmal eine leichte Veränderung der Choreographie, da Cliffbar nasse Schals verteilte die man sich angenehm kühl in den Nacken legen konnte. Hier kamen mir nun auch die ersten Agegrouper entgegen, zu denen ich mich ehrlich gesagt gerne gezählt hätte. Naja vielleicht beim nächsten Mal. 😉

Die Meile 17 im Energy Lab wartet noch einmal mit einem Motivationsschub auf, denn ab hier wird die zurückzulegende Zahl der Meilen zum ersten Mal am Tag einstellig, 9 Meilen sind jetzt noch zu absolvieren vor dem großen Finale des Tages. Eigentlich änderte sich für mich nichts mehr während der letzten Wettkampfstunde des Tages. Unterwegs lernte ich noch ein paar Leidensgenossen kennen, die ich versuchte zu motivieren noch die 9 Stunden Marke zu knacken. Irgendwie fühlte es sich jetzt wieder ein wenig wie Laufen an. Ein kurzer Morgenlauf mit 4 Meilen bzw. 6,4 km stand jetzt noch auf dem Programm. Linkes Bein, rechtes Bein, linkes Bein, rechtes Bein. In Gedanken stelle ich mir in solchen Situationen immer meine Strecken zu Hause vor. Ich sage mir dann, nun bist du hier, nun dort, der Rest ist jetzt noch ein Klacks. So war es dann auch, dort wo ich auf dem Weg hinaus zum Natural Energylab das Tempo erhöht hatte, wartete jetzt logischerweise noch ein kleiner Anstieg auf mich. Nicht leichtfüßig, nicht fliegend aber mit einem Lächeln überwand ich den letzten Hügel des Tages bevor ich rechts die Palani Road hinab lief, hinein ins Stimmungsnest. Langsam realisierte ich, dass das Ziel bald auf mich wartete. Auf der letzten Geraden in Richtung Ironmanteppich und Zielkanal sah ich alle mitgereisten Freunde und meine Familie, die mich mit stolzer Brust sowie einem breiten Lächeln ins Ziel jubelten. Den Strapazen des Tages gerecht antwortete ich mit ausdruckslosen Augen hinter meiner großen Sonnenbrille und einem erleichterten aber schmerzverzerrten Lächeln bevor der Satz durch die Lautsprecher erklang, der für alle das Ende eines langen Weges, die Erfüllung eines Traums und noch viel schöner die Erlösung von allen Schmerzen (also vorerst zumindest, Muskelkater und Co kommen ja noch) bedeutet: „Philipp, yoouuu aaare an Ironman!“

Epilog

Meine Gefühle sind gemischt. Für unzählige Menschen ist ein Ironman eine unüberwindbare Herausforderung. Das stolze Strahlen meiner Familie und Freunde, sollte mich eigentlich anstecken. Das erste Mal Hawaii, direkt unter 9 Stunden, 3. Bester Deutscher, 7. in der Altersklasse, 88. Gesamtplatz (57:51 / 4:34:59 / 3:17:01) – all das liegt auf der positiven Seite der Gefühlswaage. Die negative Waagschale wird gefüllt von meiner gefühlten Hilflosigkeit während des Rennens, die harte Arbeit die für mich mehr war als eine Sieben. Wer steckt sich schon als Ziel den 7. Platz? Ich würde mal sagen der Mythos um den Ironman Hawaii hat mich am Renntag nicht kalt, sondern heiß erwischt. Kehre ich also nach Big Island zurück, weil der Ironman Hawaii ein vermeintlich so geiles Rennen ist? Ganz sicher nicht, da gibt es 1.000 schönere und besser organisierte Rennen. Komme ich wieder, weil ich infiziert bin oder eine offene Rechnung auf Hawaii habe? Schon eher, denn ich bin zutiefst unbefriedigt. Allerdings nicht im kommenden Jahr. Wenn ich das nächste Mal in die Schlacht ziehe, möchte ich noch besser vorbereitet sein. Fürs erste lege ich jetzt die Beine hoch, dreh die Musik auf und lass die Kronkorken knallen. Doch bevor mein kleiner Ironman-Paintrain über Nacht in die Wartungshalle fährt, steigen noch alle Fahrgäste aus, ohne die ein solches Spektakel nicht möglich wäre.

Da sind die 5.000 Freiwilligen am Renntag, die einen eincremen, die Verpflegung reichen, massieren, die Strecke absperren und vieles mehr. Da sind Sponsoren die einem materiell helfen und die Supporter, die mental helfen. Da sind die Arbeitskollegen und Bekannten die von zu Hause mitfiebern. Da sind die ganz verrückten, die Mitgereisten, die um die halbe Welt fliegen, um für einen da zu sein oder die Familie, Partner und Freunde, die während der Vorbereitung alles ertragen haben was so eine Vorbereitung eben mit sich bringt. Ein Ironman ist nur ein kleiner Fisch ohne all die Hilfe all derer, deshalb kann ich nur von ganzem Herzen sagen: „Danke oder wie die Hawaiianer sagen: Mahalo!“